Demokratie im Dornröschenschlaf?

Eine Bestandsaufnahme des Verhältnisses Berliner Jugendlicher zu Demokratie

Ein Drittel aller Erwachsenen traut es der nachfolgenden Generation nicht zu, die Demokratie in Deutschland zu bewahren. Diese Zahl war ein zentrales Ergebnis des Kinderreports 2017, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut infratest dimap im Auftrag des deutschen Kinderhilfswerks.

Wieso zweifelt ein großer Teil der Elterngeneration an der Demokratiefähigkeit der Jugendlichen? Wieso entsteht der Eindruck, dass die junge Generation sich nicht politisch beteiligt und ist der Vorwurf berechtigt? Welche Verbesserungsvorschläge sehen Jugendliche für unsere Demokratie und die politische Bildung? Und sorgt die Furcht vor Rechtspopulismus, dem Zerfall von Europa und dem Ende von Freiheit und Wohlstand für eine Politisierung junger Menschen?

Wer schon mal eine Gruppe Jugendlicher gefragt hat, ob sie eine Parlamentssitzung anschauen möchten hat die genervten Gesichter bestimmt noch gut im Gedächtnis. Nicht verwunderlich, wenn der Eindruck entsteht, dass politisches Interesse nicht vorhanden ist.
Ein genauerer Blick auf eine dieser Sitzungen macht eine Vielzahl der Gründe offensichtlich. Als Repräsentanten der Demokratie Deutschlands ist es die eigentliche Aufgabe der Abgeordneten, die Interessen ihrer Wähler zu vertreten und ihre Bedürfnisse zu erfüllen. In der Realität bietet sich einem allerdings ein Bild, das jeden Kindergärtner verzweifeln lassen dürfte. Ja nicht vom Kurs der Partei abweichen, um Einigkeit demonstrieren, und die natürlich vollkommen sinnfreien Vorschläge der anderen Parteien als Einheit abbürsten zu können. Dieses bockige, realitätsfremde Denken ist das Äquivalent zur Einstellung vieler eingefleischter Wähler, die seit 40 Jahren ihre Volkspartei wählen, weil die ja wenigstens noch für wahre Werte und Moral in einer ohnehin durch Internet, Videospiele und Drogen verkommenen Gesellschaft einsteht. Somit wirkt Politik weder zeitgemäß noch einladend auf die jungen Leute.
Ein Großteil der letzten 25 Jahre schien außerdem keiner besonderen politischen Teilhabe der Jugendlichen zu bedürfen. Nachdem die Wiedervereinigung geschafft war, ließ das politische Interesse der Jugend stetig nach, wie die 14. Shell-Jugendstudie zeigte. In dieser war die Rede von „Ego-Taktikern“, die nur zum eigenen Vorteil handeln würden. Die großen Themen der Politik waren einfach nicht relevant für die Jugend, vielmehr ging man auf die Straße gegen Studiengebühren, Lehrermangel und Sparmaßnahmen. Das vorhandene politische Engagement beschränkte sich also auf die eigenen Interessen.

Erst der wachsende Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Deutschland und Europa, Probleme mit Migration und Finanzkrisen rücken große politische Themen in den Fokus junger Menschen. Derlei bisher für die junge Generation unbekannte Herausforderungen sind von so existentieller Bedeutung für Alltagsleben und Zukunftsperspektiven der deutschen Bürger, dass die politische Teilhabe Jugendlicher unabdingbar geworden ist.
Wenn sich Kinder und Jugendliche aber daran machen, ihre Meinung zum politischen Diskurs beizutragen, erleben sie eine herbe Enttäuschung, denn auch bei diesem Thema spielt das Schreckensgespenst der Bundesrepublik „Demographischer Wandel“ eine entscheidende Rolle. Wie der 15. Kinder und Jugendbericht zeigt waren mehr als 20% der Wähler bei der Bundestagswahl 2013 über 60 Jahre alt. Die 18- bis 21- Jährigen stellen dagegen nur rund 3% der Wahlberechtigten. Diese Schlucht zwischen den Altersgruppen bedeutet, dass Jugendliche kaum einen Einfluss auf die tatsächlichen Machtverhältnisse haben. Anstatt gegen Windmühlen anzukämpfen, wird bei der Erwähnung einer Parlamentssitzung daher nur resigniert mit den Augen gerollt und die Kraft in Erfolgsversprechenderes investiert.
Und doch gibt es sie. Die Idealisten, die Motivierten, die Querdenker, die Rebellen und die Nonkonformen. Menschen die ihr Recht auf Mitgestaltung trotz allem nicht aufgegeben haben. Manche leben ihre Einstellung im Privaten und vertreten ihren Standpunkt im Freundes- und Familienkreis. Aber wenn das nicht mehr reicht geht der nächste Schritt häufig in einen Verein, eine Organisation, eine Partei oder eine Gruppierung mit den gleichen Zielen.
Zwischen dem vierzehnten und dem neunzehnten Lebensjahr engagiert sich ungefähr jeder zweite Jugendliche ehrenamtlich. Damit sind sie die ehrenamtlich aktivste Bevölkerungsgruppe. Wie kann dieses Engagement, diese Beteiligung, dieser Versuch der Mitgestaltung von der Öffentlichkeit einfach übersehen werden? Wieso wird einer derartig involvierten Jugend nicht zugetraut, die Demokratie zu bewahren?
Zugegebenermaßen üben viele Jugendliche ihr Ehrenamt nicht im politischen Bereich aus. Beliebt sind vor allem Sportvereine, Schulen, Kirchengemeinden, Rettungsdienste und die Freiwillige Feuerwehr. Doch politische Bildung erfährt die junge Generation nicht nur durch den Eintritt in eine Partei. Neben dem Elternhaus und der Schule sind es vor allem diese Ehrenämter die Jugendliche fit machen für einen verantwortungsvollen Einsatz ihrer demokratischen Grundrechte.
Auch die Ergebnisse der 17. Shell Jugendstudie aus dem Jahr 2015 deuten in diese Richtung. 41% der Befragten bezeichnen sich als „politisch interessiert“, 11% mehr als noch im Jahr 2002. In etablierte Parteien setzen nur wenige ihr Vertrauen, zu groß ist die Alltagsferne, zu tief verwurzelt das angestaubte Image. Organisationen für Umweltschutz und Menschenrechte genießen ein weit aus besseres Ansehen.
Die junge Generation hat eigene Möglichkeiten und Wege gefunden um ihren politischen Ideen Ausdruck zu verleihen. Stark verbreitet sind die Nutzung von Online-Petitionen, der Austausch über soziale Netzwerke, Demonstrationen, Bürgerinitiativen und die Organisation in Subkulturen, denen ihre gemeinsame politische Ausrichtung als Identifikation dient. All dies geschieht fern ab vom konventionellen politischen Tagewerk, leicht zu übersehen, und durch verhärtete Strukturen in ihrer Effektivität gehemmt. Wenn die Elterngeneration behauptet, Jugendliche würden sich nicht politisch engagieren, liegt dies also eher daran, dass politische Aktivität sich heute in einer Form zeigt die sich ihrer Aufmerksamkeit entzieht.

Die Einen sind 15 oder 16 Jahre alt und diskutieren über Demographischen Wandel und Direkte Demokratie. Die Andere ist 19 Jahre und arbeitet in dem Bürgerbüro eines Abgeordneten. Und dann, beim Lesen der neusten Studie des Kinderhilfswerks kann man eigentlich nur den Kopf schütteln über Erwachsene die kein Vertrauen in die politischen Fähigkeiten unserer Jugendlicher haben.
Was wollt ihr mehr? Diese Schüler fordern mehr Politikunterricht um besser bescheid zu wissen, sie warten nur darauf 18 zu werden um endlich wählen zu gehen und mitzuentscheiden. Ein Blick in die 17. Shell-Jugendstudie müsste reichen um diese Aussagen und Eindrücke mit Fakten zu untermauern.
All dies den enormen Hürden des aktuellen Zeitgeschehens zum Trotz. Nicht einmal die Steine, die ihnen durch die verkrusteten politischen Strukturen in den Weg gelegt werden, halten sie davon ab sich alternativ und abseits der konventionellen Mitsprachemöglichkeiten zu engagieren.
Also dürfen wir hoffen, dass sich dieser positive Trend fortsetzt und es unserer Generation gelingt, das ihr entgegen gebracht Misstrauen zu überwinden und die Demokratie zu bewahren.

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