Menschen strömen in den Theatersaal, Gedränge, man tummelt sich auf den Treppen neben den Sitzreihen. Manche müssen sich sogar einen Platz auf dem Boden suchen.
Dunkelheit. Stille. Ein greller Ton kommt auf. Das Erste, was wir sehen, ist das Licht der Taschenlampen, die direkt auf uns strahlen. Geblendet und irritiert von einem bösartig anmutenden Lachen aus dem Off beginnt die Show. Sie besteht aus acht Szenen, die, ganz ungewohnt, vor allem durch Musik geprägt sind.
„Ich nehm das, ich nehm das! Ich nehm Deine Deutsche Pass!“
Matondo und Nina singen bzw. rappen jede einzelne Liedzeile so ausdrucksvoll, dass sie direkt in die Köpfe der Zuschauer*innen geht. Ironischerweise kommen sie, während sich alle Köpfe im Saal im Takt bewegen, von der Bühne und verteilen “Deutsche Pässe” an uns. Natürlich bekommt niemand seinen Pass abgenommen. In den Heftchen steht der Text zum ersten Song und man ist direkt zum Mitmachen eingeladen.
“Ankommen is WLAN – The Arrival”, so heißt das Stück, das so eindrucksvoll beginnt. Das Gefühl, gedanklich mit auf die Bühne gerissen und von den treibenden Beats der Musik mitgenommen zu werden, zieht sich durch die komplette Aufführung.
Eine Recherchereise von Berlin nach Uganda
Entwickelt wurde das dynamische Stück von einem Team mit Mitgliedern aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen (Beatboxing, Tanz, Schauspiel, Operngesang, Rock und Rap), das vor einem Jahr mit einer Recherchereise in Berlin begann. Die Gruppe suchte danach auch in Uganda an Schulen und in einem Flüchtlingslager nach Antworten zur Frage “Was ist für dich Ankommen?”. Dieselbe Frage, jedoch verschiedene Orte und damit auch verschiedene Antworten.
In der Großstadt Berlin war für Jugendliche, jugendliche Geflüchtete und geflüchtete Aktivist*innen „Ankommen“ dort, wo sich das Handy mit dem WLAN verbindet. Dann hat man Zugriff auf soziale Netzwerke, kann mit seinen Leuten in Kontakt bleiben und sich viel besser zurechtfinden. Im ostafrikanischen Land Uganda war es dagegen vielmehr die Chance zu haben, einen Weg zu finden, in der Zukunft anzukommen und auf eigenen Beinen zu stehen.
Viel Zuwanderung in Uganda
Was viele nicht wissen: Uganda ist das afrikanische Land, das die meisten geflüchteten Menschen aufnimmt. Vor allem aus den Nachbarländern Südsudan und dem Kongo kommen viele. Bürgerkriege und militärische Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch Milizen machen den Menschen Angst, während Hunger und mangelnde Lebensmittelversorgung an der Tagesordnung stehen.
Als Europäer*innen bekommen wir hauptsächlich mit, wie die hier ansässigen Regierungen und Menschen oft überfordert zu sein scheinen mit den Anforderungen, die seit 2015 in unseren Nachrichten so präsent waren. Viele Menschen kamen damals nach Europa, Regierung und Gesellschaft mussten handeln. Wie die Menschen in anderen Ländern mit sogenannten “Krisen” umgehen, geht dabei oft an uns vorbei.
Gemeinsame Werte erschaffen
Das Stück “Ankommen is WLAN – The Arrival” hingegen legt Wert darauf, dass wir genau dort den einzelnen Menschen zuhören. Es geht darum, ihre Hoffnungen, Ängste und inneren Konflikte wahrzunehmen, die bei Flucht und Ankunft in ihnen brodeln. So lautet die zentrale Frage, ob es möglich ist, gemeinsame Werte zu schaffen, auch wenn man vielleicht unterschiedliche Lebensentwürfe hat. Ob es möglich ist,
“als menschliches Wesen ohne Geschlecht, ohne Hautfarbe und ohne Diskriminierung”
anzukommen. Wie so eine Utopie aussehen könnte, darum geht es im Stück. Auch die Sache mit dem Geschlecht, dem “Gender”, wird im Stück ausgehandelt. In glitzernden Abendkleidern, mit Perücken und High Heels kommen der Berliner Rapper Matondo Castlo und die beiden ugandischen Künstler Robert Ssempijja (Tanz) und Moses Mukalazi (Beatboxing und Tanz) auf die Bühne. In Uganda, wo Homosexualität strafbar ist und viele Medien Homophobie schüren, könnte das zum Problem werden, sagt die Marketing-Leiterin des GRIPS-Theaters.
Nach dem vollen Terminkalender, der Aufführungen in Deutschland bis Ende Januar vorsieht, wird das musikalische Theaterspektakel ab Februar 2020 in Uganda gespielt. Das Stück ist also in mehreren Sprachen konzipiert und auch bei der Uraufführung im Podewil in Berlin wird klar: Das Zusammenwirken der Künstler*innen spricht eine ganz eigene Sprache, die jeder versteht. Sie besteht aus einer wilden Symbiose aus Tänzen, Performance und einer einzigartigen Klangmischung aus Hip-Hop, Pop, europäischer Klassik und Rock, gepaart mit afrikanischen und elektronischen Einflüssen.
Das Theater als Ort des Ankommens
Kooperationspartner bei dem Projekt ist das GRIPS Theater, in dem auch die großartige Premiere stattgefunden hat. Für Philipp Harpain, den Leiter des Theaters, bedeutet Ankommen, dort zu sein, wo sein Herz sei. Damit meine er keinen bestimmten Ort, sondern ein Gefühl. Für ihn sei das Theater ein Ort des Ankommens, auch weil sich hier die unterschiedlichsten Menschen zusammenfinden und gemeinsam Projekte erschaffen könnten.
Das Interview mit Philipp könnt ihr euch hier anhören.
Das altersmäßig bunt durchmischte Publikum ist durchweg fasziniert. Mit Florian, elf Jahre alt, haben wir nach der Aufführung kurz geredet. Er meinte, dass durch das Stück Rassist*innen umgestimmt werden könnten. “Wucht, Kraft und Power” transportiere “Ankommen is WLAN”, meldet eine andere Besucherin zurück. Zudem hält sie es für eine schöne Form des politischen Theaters, das „würdig für Berlin“ sei. Jedoch gab es auch ein wenig Kritik: Sabine, 59 Jahre alt, fand die Aufteilung nicht sehr gleich verteilt. Für sie hätte es gerne mehr Kommunikation zwischen den Künstler*innen geben können.
Eine Erzieherklasse des Anne-Frank-Berufskollegs aus Münster befindet sich zur Zeit auf Projektfahrt in Berlin und hat sich das Theaterspektakel ebenfalls angeschaut. Für viele war es „unglaublich toll und überwältigend“. Fabienne, 24, war nach dem Stück „immer noch total elektrisiert“ und findet zudem, dass es eine ganz besondere Message hätte. Don-Brown, 36 Jahre alt, fand es schade, dass er sitzen musste, denn am liebsten wäre er aufgestanden und hätte mitgemacht.
Die Lehrerin Bernadette, 52 Jahre alt, hatte auch einen kritischen Aspekt anzumerken. Sie fand das Ende zu kämpferisch und hätte sich ein mehr gestalterisches Ende gewünscht, das den Slogan
„Ich bleibe, egal was ihr macht!“
repräsentiere. Dennoch empfindet sie das Stück als zukunftsweisend. „Die Power und die kulturellen Einflüsse sollen uns weiterbringen.”, so Bernadette.
Party-Stimmung bei allen nach der Show
Nach der Uraufführung hat sich die positive, kraftvolle Message und die motivierende Stimmung anscheinend auf alle Gäste und Künstler*innen übertragen. Es wird gemeinsam gegessen, getanzt und gelacht. Wir hatten zwischendurch die Gelegenheit, im Gespräch mit Moses, Theresa Henning (Text und Regie) und Matondo herauszufinden, was ihnen das Projekt persönlich bedeutet.
Besonders hervorgehoben haben Moses und Matondo die Freiheit, die ihnen Theresa bei der Entwicklung des Stücks gegeben hat. Abweichungen vom Drehbuch waren gewollt und ihre eigenen Ideen bekamen Platz. Das habe die ganze Performance stärker und natürlicher auf die Bühne gebracht, so Matondo. Er erzählt zudem, dass das Theater für ihn persönlich überraschenderweise ganz anders sei, als er sich es vorgestellt hatte. Jugendlichen empfiehlt er, es einfach mal auszuprobieren.
“Manche Leute denken, wir auf der Bühne wären übernatürliche Menschen.”, sagt Moses. Dass es aber während den Proben und dem Prozess hin zum fertigen Stück auch chaotische Situationen gab, besonders, weil das Team aus Personen aus komplett unterschiedlichen künstlerischen Bereichen besteht, gibt Moses zu. Auch Fehler zu machen sei normal, denn am Ende des Tages seien wir alle nur Menschen, und das sei es, was uns ausmache.
Ein bewegendes Interview mit Moses, Theresa und Matondo könnt ihr euch hier anhören.
Text und Interviews: Leonie und Isa