Hier habt ihr das dreiteilige Skype-Interview mit dem Chefdramaturg Robert Koall zu Pegida noch einmal schriftlich. Was natürlich nicht dagegen spricht, sich auch das Video anzusehen 😉
Milena: Hallo Herr Koall. Wir freuen uns sehr, dass Sie sich Zeit genommen haben für ein kurzes Skype-Interview zum Thema “Pegida”. Okay, erst einmal – wie würden Sie Pegida beschreiben?
Herr Koall: Pegida ist schwierig zu beschreiben, haben sich schon viele daran versucht. Es gibt in jeder Gesellschaft gibt es eine Gruppe von Unzufriedenen – und die Leute sind über die verschiedensten Sachen unzufrieden – die einen über Reglementierung des Staates, andere über ihre persönliche Situation oder über ihre finanzielle Situation. Aber was Pegida jetzt gemacht hat – sie haben auf eine sehr tückische und geschickte Art, muss man leider auch sagen, es geschafft, diese ganzen Unzufriedenen unter einem Etikett, unter einem Schirm, zu sammeln. Das Etikett ist, gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes zu sein und plötzlich finden sich all diese Unzufriedenen in dieser Pegida-Bewegung wieder. Das Lustige daran, nein, das “Lustige”, das Absurde daran ist aber, dass die Leute gar kein gemeinsames erklärtes Ziel haben, sondern ganz verschiedene erklärte Ziele. Also das Ziel, weniger Ausländer in Deutschland zu haben, aber auch das Ziel, die Gebühren für das öffentliche Fernsehen abzuschaffen. Also eine sehr seltsam auseinander fallende Gruppe von Menschen.
Laura: Was sind das für Leute, die da für Pegida auf die Straße gehen?
Herr Koall: Das ist das Interessante daran, und gleichzeitig, das, was es so schwierig macht, gegen Pegida vorzugehen. Ich lebe ja in Dresden und da gab es in den letzten Jahren immer mal wieder Probleme zum Beispiel mit Aufmärschen von Neonazis, die den Gedenktag der Bombardierung Dresdens benutzt haben, um für ihre Zwecke zu marschieren. Das war ein Problem, aber man wusste wenigstens, mit wem man es zu tun hat, nämlich mit ganz eindeutlich Neonazis. Bei Pegida ist es ein bisschen schwieriger. Denn bei Pegida treffen sich ja, wie schon gesagt, ganz, ganz unterschiedliche Leute. Da treffen sich Rentner, die unglücklich sind über die Höhe ihrer Pension zum Beispiel, da treffen sich Lehrer, die unzufrieden sind mit ihrem Beruf, da treffen sich andere Berufsgruppen, die zum Beispiel sagen, dass der Mindestlohn, der gerade eingeführt worden ist, ungerecht ist, die treffen sich alle – das ist auch vollkommen okay – aber das Neue daran ist, dass sie auf der selben Demonstration mitlaufen wie Neonazis. Da laufen ganz klar erkennbare Neonazis und Rassisten und das ist etwas Neues und etwas Fatales. Dass die Leute keine Berührungsängste mehr haben, mit solchen Verfassungsfeinden auf derselben Demonstration zu laufen.
Milena: Das heißt also im Prinzip, das Pegida sozusagen eine Mischung ist aus Neonazis und Leuten, die wegen irgendwelchen anderen Sachen unzufrieden sind.
Herr Koall: Ja, so könnte man das beschreiben.
Laura: Was sind so speziell die Ziele von Pegida?
Herr Koall: Das ist eben genau das Problem, dass die das gar nicht so genau formulieren. Beziehungsweise, mittlerweile gibt es einen Plan, der 10 Punkte umfasst, in dem sie kritische Forderungen aufstellen. Aber das Groteske daran ist: Ganz viele von diesen Forderungen sind längst Realität. Es ist also nichts, worum man kämpfen müsste. Und ansonsten hat Pegida eine Taktik – und das macht sie so ungreifbar – dass sie eben keine kritischen Forderungen haben, sondern schweigen. Also diese Märsche, die da stattfinden, diese “Spaziergänge”, wie Pegida sagt, das ist auch keine Demonstration, wie man sie sonst kennt, wo laut Parolen gerufen werden, sondern sie sind vergleichsweise ruhig. Da stehen dann zwar teilweise Parolen auf dem Transparent, aber wie ich schon eben sagte: Das reicht von dem Satz “Keine militärischen Interventionen der NATO” bis zu “GEZ-Gebühren abschaffen”, bis zu “Asylanten raus aus Deutschland”.
Milena: Und was sind das jetzt für Forderungen, von denen Sie gesprochen haben, die eigentlich schon erfüllt wurden?
Herr Koall: Zum Beispiel, dass kriminelle Ausländer abgeschoben werden sollen. Natürlich kriegt jemand, der sich dauerhaft kriminell verhält, Probleme mit seinem Asylrecht. Oder dass bestimmte Formen bei der Polizei durchgesetzt werden soll. Diese Forderungen haben aber auch zum Beispiel die Grünen. Die erfinden da also nicht komplette Sachen neu.
Laura: Sie arbeiten ja eigentlich im Theater. Warum interessieren Sie sich überhaupt so für Pegida?
Herr Koall: Das hat mit dem Theater wenig zu tun.
Milena: Eben. Das ist ja die Frage. Es hat wenig mit dem Theater zu tun, deshalb wieso?
Herr Koall: Naja, weil es etwas ist, was die Gesellschaft in der Stadt betrifft, in der ich lebe, ich bin Bürger in dieser Stadt. Und wenn sich Leute auf die Straße stellen und sich dafür einsetzten, dass bestimmte Menschen, die zu uns kommen, sogenannte Flüchtlinge, weil sie Not und Elend erlebt haben, dass diese Menschen nicht zu uns kommen sollen, dass man diesen Menschen ein Recht auf Asyl, ein Recht auf die Unversehrtheit ihrer Gesundheit verweigern soll – dann muss man etwas dagegen tun. Das hat mit dem eigenen Beruf nichts zu tun. Es hat damit zu tun, dass man Bürger einer Gesellschaft ist und möchte, dass diese Gesellschaft lebenswert ist. Und eine lebenswerte Gesellschaft finde ich nur eine offene Gesellschaft, die sich denen annimmt, die unsere Hilfe brauchen. Zumal es uns, in unserer Gesellschaft in Deutschland, so unwahrscheinlich gut geht, verglichen mit den meisten Menschen in der Welt.
Milena: Und tun Sie aktiv etwas gegen Pegida?
Herr Koall: Mehr dafür, als dagegen. Natürlich bin auch ich gegen Pegida mit auf die Straße gegangen. Aber im Theater machen wir jetzt eher Sachen für die Menschen, gegen die Pegida ist. Also für die Flüchtlinge, für die Leute, die Asyl beantragen, da bieten wir bestimmte Theatervorstellungen an. Und wir engagieren uns für Aktionen, bei denen diesen Menschen geholfen wird. Entweder finanziell oder durch praktische Lebenshilfe. Also ihnen zum Beispiel bei Gängen zum Amt zu helfen. Man muss daran denken, dass diese Menschen fast alle kein deutsch sprechen und fast alle nicht mit unserer Kultur vertraut sind. Und wer schon mal auf einem deutschen Amt war, weiß, dass es auch für einen Deutschen schwer genug sein kann.
Milena: Was können wir denn als Jugendliche dagegen – oder für die Flüchtlinge – tun?
Herr Koall: Also es gibt viele Telefonnummern und Webseiten, auf denen man sich informieren kann, was man konkret für die Flüchtlinge tun kann. Das kann von finanziellen Spenden über Fußball spielen mit den Kindern gehen, während die Eltern auf dem Amt sind. Das andere, noch viel Wichtigere ist, generell daran mitzuarbeiten – in der Schule, in der Familie, in der Freizeit – dass die Gesellschaft, in der wir leben, tolerant ist und tolerant bleibt. Das heißt, Vorurteilen entgegen zu treten, dazwischen zu gehen, wenn man das Gefühl hat, dass jemand sich auf eine Art und Weise verhält, die jemand anders ausgrenzt. Und einfach demonstrativ und offen zeigen, dass man dafür ist, dass eine Gesellschaft sich pluralistisch, weltoffen verhält. Und wenn das gelingt entstehen solche Bewegungen wie Pegida gar nicht erst und dann haben wir das Problem gar nicht erst.
Laura: Wieso gehen denn jetzt immer weniger Menschen für Pegida auf die Straße? Hat sich das Thema vielleicht demnächst schon erledigt?
Herr Koall: Sicher nicht, nur weil nicht mehr so viele Menschen auf die Straße gehen, heißt das nicht, dass sich in den Köpfen der Leute alles verändert hat. Aber ich glaube, was ganz gut gelaufen ist in der letzten Zeit, ist, dass sie den Vorwurf, den Pegida gemacht hat: “Mit uns redet ja keiner, uns nimmt keiner ernst, wir werden nicht gehört” nicht mehr aufrecht erhalten können. Denn so wie Pegida ernst genommen worden ist, so wie sich mit Pegida beschäftigt worden ist, wurde sich lange in Deutschland mit keiner Bürgerbewegung befasst, und sei sie noch so sehr von extremistischer Seite. Ich glaube, dass es eine gute Taktik war von vielen Initiativen, erst einmal auf diese Leute zuzugehen und zu sagen: “Wir finden das furchtbar, wie ihr gegen Asylanten redet, aber lasst uns bitte darüber reden.” Und dann vielleicht diese Leute entweder zu überzeugen oder ihnen das Gefühl zu geben, dass ihnen zugehört werden. Denn es ist immerhin eine Demokratie und das bedeutet, dass man sich mit jeder anderen Meinung auseinander setzen muss – und wenn man sie noch so wenig teilt – und wenn man das tut, kann es vielleicht gelingen, dass man solchen Leuten den Spaß daran verdirbt, einfach nur stur gegen irgendetwas auf die Straße zu gehen und einfach nur stumpf seine hasserfüllte Meinung zu äußern. Das ist, glaube ich, ganz gut gelungen. Hier in Dresden sollen es angeblich, bei einer Montagsdemonstration, einmal um die 25000 gewesen sein, im Moment sind es deutlich unter ca. 5000 – ob die Zahlen stimmen, weiß ich nicht. Aber das hat bestimmt auch damit zu tun, dass man deutlichen Protest gezeigt hat, aber auch gezeigt hat, dass wir darüber reden können.
Milena: Gut, dann vielen, vielen Dank.