Eine Satire.
Am Dienstag Morgen waren wir in aller Herrgottsfrühe im Fernsehen zu sehen. Und wisst ihr was? Ihr habt es bestimmt nicht bemerkt! Schande über euch! Da gewinnen wir einmal einen Preis für unsere kreative Temporaldiarrhö, da werden wir einmal zur Abwechslung zu einer tatsächlich professionellen Fernsehproduktion geladen, und ihr schlaft. Aber es ist euch nachzusehen, schließlich waren wir heute Morgen zu einer unmenschlichen Uhrzeit, zu der man früher zu Zeiten der Wehrpflicht noch stramm vor der Kaserne zum Morgenappell stehen musste, im ZDF Morgenmagazin. Geführt wurden wir von einem wahrlichen Sonnenschein: Mit Kaktustemperaturen und dem Hoch Günther, viel Tamtam und Sympathie lotste Benjamin Stöwe, der Wettermensch, eine Gruppe verwirrter Jugendlicher, die sich Jungjournalisten schimpfen, durch den labyrinthischen Sendekomplex. Zum Frühstück gibt es einen halben Liter Volvic Still. Und sehr appetitlich aussehende Bagels. Die jedoch waren Deko.
Dort stehen wir also, atmen sowohl den Technikern, als auch den Moderatoren und Studiogästen die gesiebte, durch die Klimaanlage gehetzte Luft weg. Benjamin Stöwe setzt uns irgendwann aus reiner Verzweiflung in die Bildregie. Diese scheint hier wie eine Art Småland, welches wir aus dem IKEA kennen, zu funktionieren. Dort werden die nervigen Blagen abgestellt, damit sie bei der Arbeit nicht im Weg stehen. In besagter Bildregie sitzen mehrere Menschen jenseits der Midifecrisis, die ihren Joballtag damit verbringen, Knöpfe zu drücken und sich gegenseitig über Headsets anzuschreien. Mit welchem Interesse die Mitarbeiter hierbei vorgehen, ist ebenfalls bemerkenswert. So entsteht zwischen dem Chefknopfdrücker und einer der ihm untergeordneten Knopfdrückerinnen folgender Dialog.
Chefknopfdrücker brüllt in sein Headset: „Wir springen jetzt zur 63! Achtung: Position 63!“
Nach einer kurzen Pause ruft untergeordnete Knopfdrückerin durch ihr eigenes Headset zurück: „Was kommt denn jetzt?“
„Wir schieben jetzt das Topthema vor“, schnaubt der Chefknopfdrücker.
„Was ist denn das Topthema?“, keift es von der untergeordneten Knopfdrückerin.
„Wir springen jetzt zur 63. Für alle: Jetzt kommt Position 63!“
„Nee, weil da jetzt was mit Würzburg steht…“
„Noch dreißig Sekunden!“
Einer der Schreibtische ist frei. Wir entscheiden per imaginärem Münzwurf, wer zuerst auf dem freien Sessel Platz nehmen darf. Benjamin Stöwe moderiert indes im unten angesiedelten „Café“ das Wetter. Dabei fallen fragwürdige Vergleiche, die von meiner Kollegin Frau Reinecke und mir mit irritierten Blicken kommentiert werden. Zitat: „Sollten Sie sich wie eine Sonnenblume fühlen, werden Sie in den kommenden Tagen aufblühen. Wenn Sie sich aber zum Beispiel wie ein Kaktus fühlen, dürften die heißen Sommertage nichts für Sie sein.“ Das ist doch schön. Das hat so etwas Philosophisches. Wer bin ich, und wenn ja, ein Kaktus?
Irgendwann werden wir wieder aus der Regie abgeholt, Benjamin Stöwe hat sein Outfit gewechselt, dann bringt man uns herunter ins Café. Dort sind wir, die wir als Jugendredaktion vor Ort sind, tatsächlich die jüngsten Gäste. Etwa vier bis sieben Jahrzehnte trennten uns von den anderen Besuchern des Cafés. Milena und ich unterteilen den Raum imaginär in drei Gruppen. Unsere Jugendredaktion, verwirrte Frühaufsteher in der Midlifecrisis und der Rentnerclub „Prostata Demenzia“. Auf den Tischen stehen leere Wasserkrüge und oben genannte Bagels als Studiodeko. Während über die Attacken in Würzburg gesprochen wird, kokettiert ein Mitglied des Rentnerclubs augenscheinlich mit einem der Kuchenstücke, die vereinzelt auf den Tischen stehen. Wer Stalingrad gesehen hat, den kann nun einmal so ein Axtmörder nicht mehr erschüttern.
Irgendwann stehen die beiden Moderatoren auf, die Studiosklaven gehen vereinzelt auf Leute zu. Man hat sich offensichtlich einen Kniff für diese Sendung ausgedacht, um den Schein der Interaktion mit dem Publikum zu wahren. So werden Leute in die Kulisse gesetzt oder gestellt und hin und her geschoben. Einige landen an dem Moderationstisch für die Nachrichten, andere, darunter wir, werden auf das Sofa gesetzt. Die Sendung verläuft gewöhnlich, Dunja Hayali spricht mit Studiogästen, parkinsongezeichnete Hände der Rentner bewegen sich auf Wassergläser zu.
Die Sendung neigt sich gen Ende, eine mir unbekannte, mehr oder minder interessante Gruppe trällert zum Abschluss ein fröhliches Singer-Songwriter-Liedchen. Die Sendung ist vorbei, alte Leute zittern aus dem Studiocafé, Benjamin Stöwe erscheint wieder, macht ein Foto von uns auf dem Sofa. Dunja Hayali kommt, hält spaßeshalber die CD der Gruppe vor die Kameralinse. Benjamin Stöwe bittet sie, sich dazuzusetzen. Es entsteht ein Gruppenfoto, danach steht Dunja Hayali wieder auf und geht. Auch wir bewegen uns aus dem Studio, gehen zusammen mit Benjamin Stöwe zuerst in die Kantine, dann in sein Büro, es wird getwittert und sich gegenseitig geretweetet.
Nach einer Art Abschlussbesprechung verlassen wir das Hauptstadtstudio, Benjamin Stöwe freut sich, dass sich seine Vorhersage bewahrheitet hat und die kommenden Tage für die, die sich wie ein Kaktus fühlen, nichts sein werden. Man verabschiedet und trennt sich. Wir, die Mitglieder, gehen endlich frühstücken.
Wir haben einen Preis gewonnen, der uns Einblick in eine professionelle Fernsehsendung bieten sollte. Und eines hat uns dieser Tag beigebracht: Perfekt ist nichts und niemand. Und wer sich wie ein Kaktus fühlt, sollte in den nächsten Tagen lieber zu Hause bleiben.