Zu Gast in der ersten Berliner Skatehalle

Wir schreiben das Jahr 2017 und die einstige Subkultur Hip-Hop ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie ich darauf komme? Es ist Montagmorgen und ich, 18 Jahre, weiblich, stolzer Teil der Steglitz-Zehlendorfer Mittelschicht, sitze mit meinem jüngeren Bruder auf dem RAW an der Warschauer Straße. Die Wände um mich herum sind verziert mit Graffitis, aus meinen Kopfhörern tönt nicht erst seit gestern Rap. Noch vor kurzem habe ich hier mit Freunden bei der “Fête de la Musique” zu Songs der Rap-Brudis Mädness & Döll meine Arme in der Luft zum Beat bewegt. Aber mein Bruder und ich sind nicht der Musik wegen hier, mit Hip-Hop hat es trotzdem zu tun. Er will etwas lernen, das ihm als Steglitz-Zehlendorfer noch bis vor einigen Jahrzehnten ziemlich sicher nicht zwischen die Finger oder eher unter die Füße gekommen wäre: Skaten.

Vor uns thront die einzige und erste Skatehalle Berlins – ehemals eine Schmiedehalle. Hier startet heute ein einwöchiger Ferienworkshop, denn es sind Sommerferien in Berlin. Auffällig: viele der Teilnehmer – überwiegend Jungs im Alter von 6 – 14 – werden von ihren Großmüttern auf das RAW gebracht. Die wenigen Eltern, die ich sehe, tragen ganz entgegen meinen Erwartungen Kashmir-Pullover, in der Hand das neuste Apfel-Phone. Meine stilisierten Vorstellungen von der hippen Kreuzberger Skaterfamilie sind zerstört. Heimlich weint mein Möchtegern-Hip-Hop-Herz, als ich die Logos eines großen Sportartikelherstellers über der Anlage thronen sehe. Ich habe Gesprächsbedarf. So treffe ich am nächsten Tag die Pressebeauftragte der Halle, Sara Plagemann. Die junge Frau bietet mir einen Drink an und wir setzen uns auf die selbstgebauten Bänke des zugehörigen Cafés:

Wie lang gibt es denn die Workshops schon? Wer kam auf die Idee?

Wir machen das schon seit mehreren Jahren, ich kann dir jetzt gar nicht das genaue Datum sagen. Es hat sich einfach dadurch ergeben, dass Interesse sowohl bei Jüngeren als auch bei Älteren bestand, sich das Skaten beibringen zu lassen. Früher war es halt so, dass die Leute einfach rausgegangen sind auf die Straße und sich das Skaten selber beigebracht haben. Auch heute macht das der Großteil noch so, aber es gibt inzwischen auch immer mehr, die sich das wie in einem Sportverein – vor allem die Grundkenntnisse – beibringen lassen wollen: wie man richtig fällt, rollt, bremst, anfährt. So sind die Workshops dann zustande gekommen.

Wie kommen die Kids darauf, so einen Workshop mitzumachen?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal sind die großen Geschwister auch schon hier zum Skaten. Natürlich kann man sich zudem über die Internetseite bei uns anmelden oder per Mail. Bei Minderjährigen machen das meistens die Eltern. Es gibt verschiedene Angebote: von Probetrainings, womit man anfangen sollte, bis hin zu Blockkursen und Ferienkursen. Auch Privattrainings kann man buchen oder seinen Geburtstag hier feiern.

Überwiegend Jungs im Alter von 6 – 14

Sind es denn die Eltern oder die Kinder, die auf die Idee kommen, eure Workshops zu belegen?
Teils teils. Manchmal sind es die Eltern, die vielleicht selber noch jung sind, das selber cool finden und denken “Es wäre voll cool, wenn mein Kind skatet.” Schlecht ist dann aber meistens, wenn das so gar nicht von den Kindern kommt. Oft haben die dann nicht so große Lust darauf. Manchmal ist es auch gemischt: Die Kinder haben Interesse und die Eltern pushen das. Einige haben aber auch einfach von sich aus Lust, Skaten zu lernen.

Gibt es denn ein typisches Klientel, was eure Workshops besucht?
Dadurch, dass wir die einzige Skatehalle Berlins sind, kommen die Leute wirklich aus allen möglichen Stadtteilen, allen Ecken Berlins. Da kann man jetzt nicht wirklich sagen, dass es dieses eine typische Klientel gibt.

Als ich gestern meinen Bruder hier her gebracht habe, war ich verwundert, fast überwiegend Eltern anzutreffen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie ihre Kinder aufs RAW zum Skaten bringen würden.
Ja, ich glaube, was so die gesellschaftlichen Schichten angeht, ist das hier sehr durchmischt. Da sind sicher Leute dabei, die sich sonst nie hier aufhalten würden. Es kommen aber auch viele aus dem Kiez zu uns.

Gibt es auch Eltern, die selber schon geskatet sind und deshalb ihre Kinder hierher bringen?
Auf jeden Fall. Es gibt ja auch viele Eltern, die selber noch aktiv skaten. Wir haben auch Kurse für die ganz Kleinen, wo die Eltern auch mitskaten können.

Trifft man in der Halle heute andere Leute an, als noch vor 10 Jahren?
Sicherlich. Skaten ist einfach populärer geworden. Unser Hauptsponsor ist ja zum Beispiel ein großer Sportartikelhersteller. Das war ja früher noch nicht so. Da waren das eher so kleinere, lokale Skatebrands. Dadurch hat sich das Skaten für eine größere Gruppe geöffnet und ist auch in den Medien präsenter. In super vielen Werbespots findest du heutzutage Skater. Dadurch hat sich das Klientel außerdem erweitert. Skaten ist aus der Nische herausgetreten.

Du hast da was unter den Füßen

Aber wurde auch zunehmend kommerzialisiert.
Definitiv, ja.

Was hat das mit sich gebracht, dass ihr die Partnerschaft mit dem großen Sportartikelhersteller eingegangen seid?
Für uns hat das vor allem Vorteile. Klar kann man sagen, dass das alles sehr kommerziell ist, aber der große Sportartikelhersteller ermöglicht den Skatern auch sehr viel. Sie bezahlen zum Beispiel Trips und versorgen die Skater mit Schuhen. Früher hingegen standen die Skater dann halt da und hatten einfach keine. Das geht ja auch alles sehr schnell kaputt. Natürlich hat alles auch immer zwei Seiten, aber eben super viele positive.

Ihr seid also nicht abhängig von besagtem großen Sportartikelhersteller?
Ja, die Skatehalle finanziert sich komplett selbstständig vor allem durch die Gastronomie, die wir hier rundherum aufgebaut haben. Alles hat den Hintergrund, diese zu finanzieren. Der Grundgedanke war, dass Berlin eine Skatehalle braucht. Alles andere hat sich dann entwickelt, weil es keine Abhängigkeit geben sollte. Durch Sponsoren konnten wir zum Beispiel ermöglichen, den Skatepark komplett umzubauen. Früher war das hier ja alles aus Holz und jetzt aus Beton. Die Qualität der Anlage konnte gesteigert werden.

Wird denn nicht besonders durch die Workshops auch nochmal die Halle mitfinanziert?
Klar sind alle Angebote auch dazu da, die Halle zu finanzieren. Aber das sind ja alles keine hohen Preise. Der Hauptgedanke ist, ein offener Ort zu sein, wo wirklich alle auf irgendeine Art und Weise teilnehmen können. Es gibt auch immer Möglichkeiten, Ermäßigungen zu bekommen, wenn finanziell die Mittel fehlen. Da sind wir auch immer offen und achten darauf, dass keiner ausgeschlossen wird.

Also macht ihr in gewisser Weise auch politische Arbeit.
Ja, auf jeden Fall. Eigentlich hat es ja immer irgendwie etwas politisches, wenn man in einer Stadt wie Berlin mit Jugendlichen arbeitet. Etwas politisch-soziales hat unsere Arbeit auf jeden Fall, klar.

Ich habe gehört, dass es auch so Workshops für Geflüchtete gibt.
Genau. Wir arbeiten mit diversen Partnern zusammen: mit dem 1. Berliner Skateboardverein e.V. und dem Drop-In e.V., die viele verschiedene Projekte machen. Dazu gehören neben Deutsch-Kursen auch kostenlose Skateworkshops hier in der Halle.

Also du würdest schon sagen, dass ihr einen gewissen gesellschaftlichen Stellenwert habt?
Ich weiß nicht, ob man das jetzt gesellschaftlichen Stellenwert nennt, aber wir haben auf jeden Fall den Anspruch, dass die Halle ein sozialer Ort ist, an dem viele Projekte realisiert werden und es nicht um kommerzielle Ausbeute geht, sondern darum Leuten Dinge zu ermöglichen oder sie zusammenzuführen. Der Grundgedanke vom Skaten ist ja auch, dass Menschen aus allen Ländern und allen Schichten zusammenkommen und niemand ausgeschlossen wird. Wir haben jetzt auch ein Pilotprojekt gestartet mit Rollstuhlskaten. Da passiert schon einiges.

Skaten ist ja schon Teil der Hip-Hop-Kultur. Gibt es da eine besondere Verbindung zu?
Ich glaube, dass es vorbei ist, diese ganzen Jugendkulturen voneinander abgrenzen zu können. Früher war es vielleicht mal so, dass man an den Klamotten sofort erkannt hat, wer Hip-Hop macht, wer Graffiti macht und wer skatet. Aber mittlerweile ist das alles so fragmentiert, das kann man nicht mehr einzeln aufdröseln. Es gibt Leute, die skaten, die Hip-Hop hören, aber genauso auch welche, die Techno hören. Klar

Mein Bruder in Action

gibt es schon viele, die Hip-Hop hören, aber da kann man keinen generellen Stempel mehr drauf machen, dass Skater immer Hip-Hop hören.

Aber der größte Teil?
Das sind eigentlich immer so Trends. Ich kann mich noch daran erinnern, als vor einigen Jahren hier dauernd Gitarrenmusik gehört wurde und diese dann auch immer auf den Aftershow-Partys von Contests lief. Im Moment machen wir schon eher eine Hip-Hop-Party oder Trap, aber das kann sich auch wieder verändern.

Ihr sorgt also schon dafür, nicht nur Anlaufstelle für ein bestimmtes Publikum zu sein?
Ja, hier kommen schließlich Leute aus der ganzen Welt her. Zum Beispiel Skateteams aus Brasilien und Amerika. So viele waren schon bei uns.

Naja okay, fürs erste sind in diesem Moment meine anfänglichen Befürchtungen, dass ein bedeutender Teil der Berliner Hip-Hop-Kultur zu einem kommerzialisierten Spielplatz für Kinder der neureichen Berliner Gesellschaft geworden ist, verflogen. Das geht gut bis ich an mir selber herunterblicke und zu meinem Ursprungsgedanken zurückkehre, dass ich weiblich, stolzer Teil der Steglitz-Zehlendorfer Mittelschicht und mein Bruder gerade Teil von etwas werden wollen, was uns „noch vor einigen Jahrzehnten ziemlich sicher nicht zwischen die Finger oder eher unter die Füße gekommen wäre“.

Ich bedanke und verabschiede mich, schieße mit der Handykamera noch ein paar Bilder von meinem Bruder in Action und mache mich in meinen gerade wieder angesagten Gesundheitslatschen aus dem SSV vom Acker. Ich habe beschlossen jetzt einfach Sara Plagemann zu glauben: ohne Kommerzialisierung wäre so ein Spaß, wie Skaten es ist, nie bis zu meinem Bruder und mir vorgedrungen. Ein hoch auf große Sportartikelhersteller!

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