Das kann doch keine Schule sein!?

Freie Schule – Freies Selbst?

8 Schulen, 1 Monat und 1 Frage

Kolumne, Teil I

Heckenbeck. Hier ist es! Ein bunt bemaltes Fachwerkhaus steht mitten in einem Dorf umgeben von gelb blühenden Rapsfeldern, sprießenden Ackern und einer Idylle, wie man sie nur aus Filmen kennt. Ein Auto parkt gerade ein und eine getigerte Katze läuft über den Hof. Es ist ruhig. Bis auf ein paar Vögel, ist nichts zu hören. Mein Blick schweift zu den farbigen Lettern neben dem Eingangstor: „Grund-, Haupt- und Realschule Heckenbeck“. In der Schule brennt Licht und ein Junge kommt aus der Eingangstür heraus. Aus dem Fenster tönt Klavierspielen. Ich muss mich kneifen — ist das überhaupt möglich? Es ist 22 Uhr. An einem Sonntagabend.

Schüler bei einem Lernangebot: „Newstreff“ in dem aktuelle Nachrichten besprochen werden.

Es ist mein erstes Mal an einer sogenannten freien Schule. Einer Schule, in der alles auf Freiwilligkeit basiert. Hier kommen die Schüler um 8 Uhr hin und gehen um 13 Uhr. Was dazwischen passiert, liegt alles in ihrer Hand. 

„Pausen? Die gibt es hier nicht. Hier ist immer Pause.“ sagt mir ein Mädchen als ich vergebens auf dem Stundenplan danach suche. Auch einen „Stundenplan“ gibt es hier nicht. Es gibt Angebote der Lehrer und die Schüler entscheiden selber, ob sie daran teilnehmen oder eben nicht. Während ich durch die Räume laufe, spielen Kinder mit Lego oder lesen, knobeln an Matherätseln oder sind auf dem Klettergerüst im Garten, basteln ihr Fantasietier oder machen selbstständig ein Biologie Experiment, lernen zu schreiben oder schmeißen sich Bälle beim Zombieball auf dem Schulhof zu. 

„Ein Jahr Interesse ist so viel wie 8 Jahre Desinteresse.“ erzählt mir Jan-Filip; ein junger, sportlicher Typ mit langen Haaren, den ich auf dem Schulhof treffe.  Er hat die Schule bis zur zehnten Klasse besucht. In der siebten Klasse hat er erst mit dem

Lernen angefangen. Lesen und Schreiben konnte er davor nur begrenzt. Inzwischen steckt er mitten in den Abiturprüfungen und hat gute Chancen auf einen Einserschnitt. „In meiner Altersstufe war ich der Erste, der mit intensiverem Lernen angefangen hat. Mir hat es sehr Spaß gemacht, mich in mehrere Themengebiete tiefer rein zu arbeiten.  Das haben die anderen gesehen und ebenso angefangen. Für mich war das genau richtig so.“

Schüler bei einem Aufwärmspiel im Bewegungsraum.

Das Lernen von Sozialkompetenzen, Selbsteinschätzung und einem gesunden Selbstbewusstsein stehen in der Schule auf der Tagesagenda. Schulversammlungen finden regelmäßig statt. Hier diskutieren Schüler und Lehrer über mögliche Entscheidungen, die Auswirkungen auf alle haben. Heute geht es um eine rote Linie, die versetzt werden soll. Sie markiert das Gebiet des Schulhofs. Da meldet sich ein kleiner Junge und sagt, dass man ja mal bedenken solle, dass es praktisch wäre, wenn ein Teil der Linie im Schatten läge. Die Erwachsenen nicken. Daran hatten sie nicht gedacht. Ich ertappe mich, wie mein Mund offen steht; die Meinung des achtjährigen Schülers und des achtunddreißigjährigen Lehrers zählen gleicher maßen. Alle sind per Du.

Die Redeleitung hat bei der Schulversammlung das Wort.

Jan-Filip sagt, er habe hier gelernt zu kommunizieren und seine Meinung zu sagen. Das merke ich. Er kann sich gut ausdrücken, hat auf jede meiner Fragen eine Antwort und seine Hände untermalen seine Worte. 

Man merkt, auf der Schule wird nicht aus Notwendigkeit, Angst oder Druck gelernt. Sondern aus Freiheit, Freude und Wertschätzung. Das bedeutet aber kein Abfallen der Noten. Im Gegenteil: es werden gute Ergebnisse erzielt, die mit anderen Schulen vergleichbar sind. Etwa die Hälfte der 89 Schüler machen ihr Abitur. 

Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, dann denke ich an die Lärmampel mit der meine Lehrerin uns beibringen wollte, ruhig zu sein. Bei uns ist sie fast immer rot gewesen. Hier wäre sie grün. Es verwundert mich, wie ruhig es bei der Schulversammlung ist. Alle hören zu, argumentieren und melden sich bei den Abstimmungen. Ist ja irgendwie auch logisch, denke ich. Hier nehmen nur Schüler teil, die wirklich dazu Lust haben.

von rechts nach links auf dem Schulhof: Samuel, Jan-Filip und Florian von der “Schools of Trust”-Bewegung mit der ich in Heckenbeck unterwegs gewesen bin (alle Fotos: Tabea Zorn)

Was ich in den 3 Tagen hier feststelle ist, dass diese Schule viel mehr als eine Schule ist. Sie ist ein Zentrum der Geborgenheit und Gemeinschaft. Die Räume sind bunt dekoriert und durch die Holzmöbel und Teppiche entsteht in jedem Raum eine warme Atmosphäre. Nach dem Mittagessen Zuhause kommen viele Schüler wieder und spielen Basketball auf dem Schulhof. „Sogar 2 Jahre nach meinem Abschluss komme ichregelmäßig hierher und spiele mit den Kindern.“ sagt Jan-Filip. Heckenbeck und die freie Schule werden immer ein Zuhause für ihn sein.

Jan-Filip erzählt lächelnd, dass er jetzt erst mal nach dem Abi reisen wird. Quer durch die USA mit dem Fahrrad. Dann würde er gerne etwas mit dem menschlichen Körper machen. Das fasziniert ihn.

Ich frage mich, wie mein bisheriger Lebensweg verlaufen wäre, wenn ich diese Schule besucht hätte. Wäre ich anders? Würden sich meine Zukunftsperspektiven unterscheiden? Was wäre mir im Leben wichtig?

Vielleicht würde ich Sonntagabends in der Schule Klavier spielen.

 

 

 

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