Wer Rammstein im Jahr 2017 noch als eine Nazi-Band hinzustellen versucht, hat seinen Job als Journalist nicht gemacht. Eine Auseinandersetzung.
Am 16. März dieses Jahres wurde auf der Webseite des renommierten Magazins SPIEGEL ONLINE ein Beitrag mit dem Titel “Rammstein in der Volksbühne – Der Konkurs” des Autors Jens Balzer veröffentlicht. Der ursprüngliche Titel des Artikels lautete “‘Rammstein:Paris’ an der Volksbühne – Die Urszene von Pegida und AfD”, dieser wurde allerdings mittlerweile verändert. Dass er einmal als Überschrift zu dem Text diente, den ich im Folgenden behandeln möchte, lässt sich noch an der URL erkennen.
Doch was ist der Hintergrund? Am 16.03. fand in der Berliner Volksbühne die Premiere des neuen Rammstein-Konzertfilms “Rammstein:Paris” statt, einer aufwendig produzierten Aufnahme, deren Ziel es war, den Zuschauer so nahe wie möglich an das Erlebnis Rammstein, an das erst auf der Bühne komplettierte Gesamtkunstwerk ihrer Musik, heranzuführen. Der Artikel beschäftigt sich mit ebendieser Premiere, wobei es allerdings kaum um den Film geht.
Ich, der ich sowohl Journalist als auch Rammstein-Fan bin, habe zu diesem Beitrag einiges zu sagen. Zu Beginn möchte ich eine Sache feststellen: Ich finde, wer sich mit dem Phänomen Rammstein schriftlich auseinandersetzt, sollte wenigstens versucht haben, die Musik der Band zu verstehen. Nicht, weil man sie mögen muss. Doch es hätte diesem Beitrag sehr geholfen.
Schon nach den ersten Sätzen fiel mir auf, dass dieser Artikel eindeutig eine Kolumne ist. Als solche ist er allerdings auf der SPIEGEL ONLINE-Webseite nicht gekennzeichnet. Schon im Aufhänger ist der Satz “Schade, dass die Premiere des Films ‘Rammstein:Paris’ alles entwertet, wofür das Haus einmal stand.” Dies war die erste Stelle, die mich als Leser stutzen ließ. Das Haus, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz also, stand seit jeher für sozialdemokratische bis kommunistische Werte. Inwiefern wird das durch Rammstein, dem bekennend linken “Hochamt für deutsche Sprache” (laut Welt), entwertet?
Sie sagten grundlos: ‘Schade um die Noten! So schamlos; Das gehört verboten!’ – Rammstein, “Los”
Jens Balzers Beitrag hat ein großes Problem: Er beschäftigt sich mehr mit seiner (zugegebenermaßen sehr guten) Sprache, konstruiert Schachtelsätze und findet hier und da auch schöne Formulierungen. Dabei allerdings scheint er mehr auf Herablassung abzuzielen als auf wirkliche Auseinandersetzung. Denn schon in dem im letzten Absatz zitierten Satz presst er Rammstein ein Image auf, das so alt ist wie die Band selbst: eine offen rechte Gesinnung.
Und damit macht Balzer bereits in den ersten Sätzen des letztendlichen Texts weiter. So sind Rammstein mal eine “maskulin-teutonische Stadionrockgruppe”, wenig später dann “sechs ruß- und ölverschmierte Herrenmenschen”. Die Richtung ist klar. Schon das erste Cover der Band, das die Mitglieder oberkörperfrei und verschwitzt vor dem Abbild einer riesigen Blume zeigte, war in Kritik geraten, weil es sich angeblich Herrenmenschen-Ästhetik bediene.
Doch was braucht es, um in ein paar Muskeln so etwas zu sehen? Ist dann der Rapper Kollegah, wenn dieser seinen muskelbepackten, entblößten Oberkörper präsentiert, auch ein Herrenmensch? Gehören nicht gewisse Vorurteile dazu, um zu dieser Assoziation zu kommen?
Wenig später im Text (in der Zwischenzeit spricht Herr Balzer erstmals tatsächlich über den Film, an dem er ebenfalls kaum ein gutes Haar lässt) ist dann von Rammstein-Frontmann Till Lindemann und “seinem typisch nazideutsch-martialischen Rollen des ‘R'” die Rede. Moment! Das gerollte ‘R’ ist typisch nazideutsch?
Natürlich, die Assoziation ist nicht völlig abwegig, schließlich ist ein gewisser Adolf Hitler einer der bekanntesten Nutzer eben dieser linguistischen Eigenart. Aber typisch nazideutsch? Hierbei versucht Jens Balzer, diese von ihm vorgenommene Verknüpfung als Fakt hinzustellen. Wie gesagt, es ist nicht unbedingt weit hergeholt, dabei an Hitler oder Goebbels zu denken. Das macht es dennoch nicht zu einem Nazi-Phänomen!
Würden wir das rollende ‘R’ grundlegend als das abstempeln, was Jens Balzer in seinem Beitrag behauptet, so würden sich Otto Wels, Marcel Reich-Ranicki, ach, so gut wie jeder Chanson- oder Opernsänger der Welt “nazideutsch-martialischer” Stilmittel bedienen.
Rammstein sind ein komplexes Kunstwerk. Ja, die Musik mag martialisch, stampfend wirken, die tiefe Stimme des Sängers und das berühmte ‘R’ mit Sicherheit düster, die Springerstiefel, die er dabei trägt und die harten Worte, die er singt, sehr deutsch. Aber damit kratzen wir doch nur an der Oberfläche. Springerstiefel werden heute ja auch eher in der linken Szene getragen. Jens Balzer ist mit Sicherheit ein intelligenter Mann, er zeigt es anhand der Sprache in seinem Artikel. Was allerdings auffällt, ist, dass genau diese kaum Stilmittel enthält. Ein Verständnis für Stilmittel ist jedoch notwendig, um das alles aufzubröseln und von der Spitze des Eisberges in das pechschwarze Meer einzutauchen, in dem sich das Herzstück von Rammstein bewegt: die Lyrik.
So sehr Jens Balzer versucht, Rammstein als primitive Rechts-Rocker darzustellen – und das tut er, daran lässt er keinen Zweifel – ihm gelingt es nicht, die Gruppe zu entkräften. Sein herablassender, schachtelsatzreicher Stil kann nicht darüber hinwegtäuschen, worum es ihm geht: Um die pure Reduzierung Rammsteins auf Nazi-Vergleiche.
Plötzlich findet ein Bruch im Artikel statt. Unter der Teilüberschrift “Das letzte Großereignis einer Ära” schwenkt Balzer thematisch von der Band zum Intendanten des Hauses, Frank Castorf. Wir erfahren etwas über eine “siebenstündige ‘Faust’-Inszenierung”. Schön und gut, doch was hat diese mit dem bisherigen Inhalt der Kolumne zu tun? Was ist der rote Faden des Textes? Rammstein, Frank Castorf, oder Faust? In meinen Augen zumindest ist es die offensichtlich fehlende Struktur Balzers, die durch diesen unangekündigten Einschub zum Teil entlarvt wird. Er erinnert mich an meine strukturlosen ersten Versuche im Bereich des humoristischen Texts. Diese allerdings hatte ich mit vierzehn, fernab jeglicher Erfahrung und außerhalb einer einflussreichen Redaktion wie dem SPIEGEL.
Nach diesem drei Absätze umfassenden Diskurs kehrt der Beitrag jedoch wieder dahin zurück, wo er begann. Vom “Maskulinismus-Chic der ‘Neuen Deutschen Härte'” ist jetzt die Rede. Herr Balzer, bitte fühlen Sie sich durch das, was ich jetzt frage, nicht beleidigt, aber: Sind Sie sich überhaupt dessen bewusst, dass Rammstein schon durch die Aufstellung der Mitglieder Ihren gesamten Punkt widerlegt? Dass es in dieser Band einen Christian “Flake” Lorenz gibt, einen großen, dürren Mann mit liebem, weichem Gesicht, der genau gegen diesen “Maskulinismus-Chic” steht? Der durch seine bloße Anwesenheit beweist, dass Rammstein nicht mit Rechts kokettiert, sondern Rechts parodiert?
Rammstein unterlaufen die totalitäre Ideologie nicht durch ironische Distanz, sondern durch Konfrontation mit der obszönen Körperlichkeit der ihr zugehörigen Rituale und machen sie damit unschädlich. – Slavoj Žižek, ZEIT Online
Jens Balzer bezeichnet Rammstein als “sonderbar humorlos” und beweist damit, dass er sich schlicht und ergreifend mit der Band nicht auseinandergesetzt hat. Er mag Rammstein ganz offensichtlich nicht, und das ist ja auch okay so. Doch hat er sich offensichtlich nicht einmal die Mühe gemacht, sich mit den Inhalten zu beschäftigen. Oberflächlichkeiten sind das, was er in diesem Text verarbeitet und uns als Fakt präsentieren möchte. Wie stark er sich damit in sein eigenes Fleisch schneidet, zeigt er schon im nächsten Satz:
“Da hilft auch nicht, dass sie aus Ostberlin kommen”
Entschuldigen Sie bitte meinen Ton, aber: Was für eine Frechheit besitzt Jens Balzer? Mit welcher Arroganz schreibt er seine Worte? Nie hat die ostdeutsche Herkunft der Band als Entschuldigung gedient. Herr Balzer, bitte erlauben Sie mir, folgendes Zitat von Till Lindemann aus einem Rolling-Stone-Interview hier anzubringen: “Wir waren früher entweder Punks oder Gruftis – wir hassen Nazis!” Es ist falsch, dass die Bandmitglieder “sich auf Nachfrage als Linke bezeichnen”. Die Band hat diesen Nazi-Vorwürfen vor sechzehn Jahren bereits ein Lied gewidmet.
Sie wollen mein Herz am rechten Fleck, doch seh ich dann nach unten weg, dann schlägt es links. – Rammstein, “Links 2 3 4”
“Die Rammstein-Ästhetik ist die Urszene der Das-wird-man-ja-wohl-man-noch-mal-sagen-dürfen-Einstellung, von der die Björn Höckes des Landes bis heute zehren.”
Ich habe in Bezug auf Rammstein schon viel Falsches gelesen. Viele Menschen, die sich selbst als intellektuelle Elite sehen, versuchen, von oben auf die Band herabzusehen und das Ganze als primitiv abzustempeln. Aber dieses Zitat von Jens Balzer ist an Brutalität und Dreistigkeit nur sehr schwer zu überbieten. Björn Höcke, ein verkappter Nationalist mit Goebbels-Mentalität hat mit Rammstein nicht im Entferntesten etwas zu tun. Rammstein mögen zwar “harte Musik” mit deutschen Texten machen. Wenn man der Band aber Nazismus unterstellen will, hilft es, diese deutschen Texte überhaupt einmal zu lesen.
Rammstein sind selten politisch, oft aber provokativ. So thematisieren sie in ihrer Musik den Kannibalen von Rothenburg oder Joseph Fritzl. Wenn es aber mal politisch wird, und das ist in den wenigsten Songs der Fall, dann geht es eindeutig nach links. So kritisierten Rammstein schon den Lebensstil eines Donald Trumps, bevor überhaupt an seine Präsidentschaft zu denken war, im Song “Mehr”. Wie man es auch dreht und wendet: Rammstein ist alles Mögliche, aber nicht die Urszene für Pegida! Die wirklich Rechten, lieber Herr Balzer, die hören nicht Rammstein. Die hören FreiWild, Gigi und die Braunen Stadtmusikanten oder Stahlgewitter, die ekelhafte Sätze singen wie “Wehrmachtsoldaten – von Bonzen, Linken und Kommies verraten.”
“Rammstein an der Volksbühne: Das ist der komplette Konkurs einer einstmals emanzipatorischen Institution, die sich zu ihrem Ende aus falsch verstandenem Trotz gegen den als ‘neoliberal’ diskreditierten Internationalismus des ungeliebten Castorf-Nachfolgers Chris Dercon nun willenlos in die Arme des deutschnationalen Mainstreams wirft. Alle, die dieses Haus immer noch lieben, können an diesem Tag nicht anders, als sich zu schämen.”
Deutschnationaler Mainstream? Herr Balzer, fehlende Sympathie ist keine Entschuldigung dafür, dass Sie mit diesem Artikel vor allem an einem gescheitert sind: an Ihrem Job. Als Journalist ist es doch Ihre heilige Pflicht, genau solch oberflächliches Gezänk zu vermeiden. Erlauben Sie mir, mich einmal Ihres Stils zu bedienen: Alle Ihre Kollegen, die ihren Job immer noch lieben, können an diesem Tag nicht anders, als sich zu schämen.
Mir scheint, als schreiben Sie ohne jegliche journalisitische Distanz, dafür aber mit viel unbegründeter Wut und massenweise Vorurteilen. Leider sehe ich mich an dieser Stelle gezwungen zu sagen: Nein, nicht Rammstein ist die Urszene von Pegida und AfD, sondern Ihre Art und Weise der “Argumentation”. Uninformiert, oberflächlich, laut gebrüllt, mit großen Worten und offensichtlicher Wut zelebrieren Sie in Ihrem Artikel eindeutig widerlegbare Aussagen. Damit möchte ich Sie keinesfalls als Nazi bezeichnen, nichts läge mir ferner. Doch Sie argumentieren nach demselben Muster wie jene Menschen, die wir beide harsch kritisieren. Doch wenn wir kritisieren, müssen wir beide das doch auf fundierte Weise, professionell und distanziert tun. Wieso also schreiben Sie über ein Thema, wenn Sie nicht einmal die Energie aufbringen wollen, das zu tun, was ein Journalist immer und immer wieder tun sollte: das Offensichtliche zu hinterfragen und tiefer in die Materie einzutauchen? Das kann doch nicht Ihr Anspruch sein. Wer einfach nur “Rammstein sind Nazis” ruft, macht es sich viel zu einfach.
Ihre Kolumne, Herr Balzer, ist ein ärgerliches und vermeidbares Armutszeugnis, mit dem Sie niemandem, auch nicht sich selbst, einen Gefallen tun. Die zahlreichen Kommentare zu Ihrem Beitrag sprechen hierbei für sich. Wie gesagt: niemand erwartet von Ihnen Lobhymnen, Sie müssen auch gar nicht nett sein. Aber das Verbreiten von Falschinformationen in dieser Form möchte ich nicht hinnehmen. Ich glaube Ihnen ja, dass Sie ein guter Journalist sind und dass Sie es schaffen können, solche radikalen Ausfälle zukünftig zu vermeiden. Zu dieser Kolumne von Ihnen bleibt mir als Fazit nichts Anderes zu sagen als: “Der Neider hat es schlecht gewusst.”
Solange Medien wie der “Stern” oder der “Spiegel” uns hassen, ist die Welt in Ordnung. – Christian “Flake” Lorenz im Rolling-Stone-Interview